Leider musste ich Ende letzten Jahres noch nach Ergenzingen, meinen geschätzten Brauerkollegen Rolf Digeser besuchen. Denn mich ereilte zum Abschluss des für viele Brauereien so harten zweiten Coronajahrs die traurige Nachricht, dass er seine Brauerei schließt. Was das bedeutet und welche Relevanz solch ein trauriges Ereignis für mich hat, möchte ich in diesem Blog nur ansatzweise versuchen, darzustellen. In Ergenzingen angekommen, bin ich zu allererst ein paar Minuten vor Rolfs Brauerei gestanden…
Der imposante Backsteinbau wurde 1897 von Familie Maier, den Vorbesitzern, erbaut und erfreut bis heute die Augen der nicht nur brauhistorisch interessierten Besucher und mit Sicherheit auch der Alt-Ergenzinger Bevölkerung. Die Brauereigebäude sind allesamt toll in Schuss und sehr gepflegt, und sind nicht nur wegen der zentralen Lage dorfbildprägend. Nach der herzlichen Begrüßung…
…ging es ins wunderschöne Sudhaus…
Die alte Jakob Karl Kupfersudpfanne aus Göppingen mit ihren 31 hl Ausschlagmenge ist einfach zeitlos schön. 1998 kam der Edelstahl-Läuterbottich dazu.
Ursprünglich gab es fünf Brauereien in Ergenzingen. Damals war die Brauwelt noch in Ordnung, denn Anfang des 19. Jahrhunderts, also vor der Industrialisierung, hatten die meisten Brauer noch ihr Auskommen damit. Die Ochsenbräu schaut auf eine bewegte Geschichte zurück. Urkundlich erwähnt wurde sie zum ersten Mal 1770. Im Besitz der Familie Digeser befindet sie sich die Brauerei seit 1928, als Franz Digeser diese von der besagten Familie Maier erwarb. Eine echte Rarität ist der Whirlpool aus Aluminium…
Seit 1989 arbeitete Rolf in der elterlichen Brauerei. Zuvor hat er seine Brauerlehre gleich in der Nachbarschaft bei Alfred Schimpfs Kronenbrauerei in Remmingsheim gemacht. Für Alfred arbeitete er dann noch bis 1987 und vertiefte und festigte dort sein Können. Den erforderlichen Braumeister-Abschluss hat er dann 1993 in Ulm erworben, bevor er auf eigene Rechnung 2007 in vierter Generation den Betrieb übernahm. Der Würzekühler zum Abkühlen der heißen Bierwürze…
Stetig wurde in den Betrieb investiert, zuletzt in zwei Gärtanks von der Firma Speidel, die in Ofterdingen zu Hause ist.
In den letzten Jahren machte sich Rolf viele Gedanken zu seiner Nachfolge. Wie geht es wohl mit seiner Brauerei nach ihm weiter? In seiner Familie gibt es leider keine möglichen Kandidaten und die Suche nach einem externen Braumeister gestaltete sich auch mehr als schwierig. Denn die tägliche Arbeit einer so kleinen Handwerksbrauerei verlangt einem sehr viel ab. Krankheitsvertretung – Fehlanzeige, Urlaub – minimalistisch, Freizeit – karg, etc.. Alles Themen, die bei der Brauerjugend doch eher eine gewichtige Rolle zu spielen scheinen. Aufgrund dieser fehlenden Nachfolgeperspektive investierte Rolf natürlich in den letzten Jahren nur noch in die must haves. Wobei die Ochsenbrauerei von der technischen Einrichtung bis zur Sauberkeit für mich up to date ist. In dieser Größe habe ich zumindest schon einige andere Brauereien sehen dürfen, deren Inhaber sehr dankbar über Rolfs Brauerei gewesen wären. Dann ging es in den Lagerkeller…
…und weiter zur Filtration…
Die Flaschenabfüllung steht tiptop da. Sehr traurig, dass an meinem Besuchstag das letzte Mal darüber abgefüllt wurde. Gerade in einer Zeit, in der der Trend der Verbraucher hin zu regionalen Bierspezialitäten kaum mehr zu steigern ist. Und von diesem Trend hat vor Corona auch die Ochsenbrauerei partizipiert. Sogar Sternekoch Vincent Klink von der Wielandshöhe war Kunde und schaute Rolf ab und an über die Schulter. Den Trend zur Regionalität sollten wir trotzdem auch realistisch betrachten, denn Corona hat den gnadenlosen Verdrängungswettbewerb weiter beschleunigt. Befeuert zum Einen durch einen gnadenlosen Lebensmittelhandel, dem z.T. die regionale Braukunst hinten links vorbei geht und der nur konditionenfokussiert handelt. Und da fallen die regionalen Kleinstbrauereien wie Rolf einfach durch. Zum Anderen ist der regionale Brauereiwettbewerb nicht minder zerstörerisch. Und zu den Brauereien im Großraum von Stuttgart kommen auch noch Brauereien von der Alb und aus dem Allgäu hinzu, die bei uns das Morgenland zu erkennen meinen. Und das schlägt sich eben auch mit auf die Angebotspreise in der Gastronomie nieder. Da bieten die Älbler und Allgäuer Bierpreise an, bei denen Brauer wie Rolf einfach betriebswirtschaftlich nicht mithalten können. Der Gambrinus würde sich zum Teil im Grabe rumdrehen…
Darüber hinaus war das zweite Coronajahr 2021 für die Brauindustrie und deren Brauereien zum Teil existenzgefährdend. Ich schreibe bewusst zum Teil, da die wirtschaftliche Situation stark von der Betriebsgröße der Brauereien abhängig ist. Je kleiner und regionaler, desto höher fällt der Anteil an Fassbier am Gesamtausstoß aus. Und dieser hat sich aufgrund der Schließungen von Gastronomie und Verbot von Festen und Veranstaltungen im Vergleich zu 2019 bei weniger als 50% eingependelt. Da die Flaschenbiererlöse im groben Durchschnitt betrachtet um ca. 50% unter den Fassbiererlösen liegen, sind Zuwächse im Flaschenbiersegment nur schmerzlindernd, aber keinesfalls heilend. Jedenfalls macht mich die Schließung sehr betroffen, denn sie ist nicht nur ein Spiegel der momentanen Situation kleinerer Brauereien, sondern ein riesiger Verlust für den Bier- und Brauereiliebhaber. Die Biere aus der Ochsenbrauerei haben mir sehr, sehr gut geschmeckt. Es darf nicht sein, dass solche Spezialitäten plötzlich nicht mehr da sind. Wer den Bock, das Kellerbier und das Pils verkosten durfte, weiß, wovon ich spreche. Das Leben in Ergenzingen geht weiter, aber mit Sicherheit wird ein ganz wichtiger Teil davon fehlen: Der Mittelpunkt des dörflichen Lebens, denn Bier ist der Kitt unserer Gesellschaft. Ohne örtliche Brauerei weniger Freude, weniger Genuss und vor allen Dingen weniger soziales Miteinander. Und das werden die Ergenzinger am Ende am Schmerzlichsten vermissen. Der brauereieigene Getränkemarkt wird von Rolf zwar weitergeführt, aber eben nicht mehr mit seinen Bieren. Eine Lizenzabfüllung kommt für ihn nicht in Frage, denn was nicht aus seinem Sudhaus kommt, trägt auch nicht seinen Namen.
Mein Fazit: Ein Dank meinerseits, auch im Namen aller Freunde deiner Biere, für deine jahrelange Arbeit im Dienste des guten Gerstensafts!